Leonardo Weinreich, 2020
Objektorientierte Ontologie
Nach der objektorientierten Ontologie (OOO) existieren Objekte unabhängig von der menschlichen Wahrnehmung (als externe Relation), und haben (sehr wahrscheinlich) Eigenschaften, die über diese hinausgehen. Deswegen wird diese Richtung oft dem sogenannten Spekulativen Realismus zugeordnet, da Wirklichkeitsinhalten Eigenschaften zugesprochen werden, die für uns nicht wahrnehmbar sind. Meillassoux (2008) kritisiert einen Korrelationismus, als die Sichtweise, dass der Mensch bzw. das Denken nicht ohne die Welt bzw. das Sein und umgekehrt existieren kann und dass die Welt nicht so beschrieben wird (bzw. werden könne), wie sie unabhängig von unserer Erkenntnis wirklich ist.
Die OOO will ohne die Unterscheidung in Subjekt und Objekt auskommen, da das menschliche Erleben keinen besonderen (ontologischen) Status habe. Subjekte hätten kein kognitives Primat gegenüber den Beziehungen der Objekte zu anderen Objekten. Nach der OOO gibt es nicht nur eine relationale Kluft zwischen Mensch und Objekt, sondern auch zwischen allen Objekten oder Entitäten. (Graham 2002) Dies ist natürlich insofern richtig, als wir (nach der Theorie der Wirklichkeit) annehmen, dass unser Bewusstsein nur ein kleiner Bestandteil der Welt ist, und nicht fundamentaler ist als Wirklichkeitsinhalte oder fremdes Bewusstsein. Und der Mensch ist natürlich nur Wirklichkeitsinhalt in einer Wirklichkeit wie jeder andere auch ist, und interagiert nach den Regeln der Physik mit ihr. Das eigene Erleben hat jedoch insofern einen besonderen Status, als (nach der Theorie der Wirklichkeit) alles, was wir erleben, unsere Bewusstseinsinhalte sind.
Bezüglich des kognitiven Primats und der gesonderten Stellung des Subjekts: Die Definition davon, was als „kognitiv“ gilt kann beliebig weit gefasst werden, da als kognitiv alles gelten kann, was auch nur entfernte Ähnlichkeit mit dem Gehirn und der Sinneswahrnehmung des Menschen hat. So wird bei der OOO der Wahrnehmungsprozess des Menschen, weil er auch nur aus Physik bzw. Wirklichkeitsinhalten besteht, verglichen mit dem bloßen Kontakt von Objekten oder einer Reaktion von Objekten miteinander, wodurch diese mit ihren „sinnlichen Seiten“ in Kontakt kämen. Die irregeführte Erkenntnis der OOO scheint hier lediglich, dass die Wahrnehmung eines Objektes A durch ein Objekt B (z. B. ein Gehirn), nicht dadurch geschieht, dass das B A „in sich aufnimmt“, sondern dass B physikalisch durch A verändert wird.
Statt Wirklichkeitsinhalte als aus immer kleineren fundamentalen physikalischen Elementen bestehend zu betrachten, will die OOO den Fokus auf Dinge an sich auf jeder Größenebene lenken, und spricht ihnen vielleicht eigene ontologische und damit fundamentale Existenz zu. Dieser Ansatz wäre insofern falsch, als Dinge schlicht Anordnungen kleinerer, fundamentaler Bestandteile sind. (Die gegensätzliche Auffassung, dass es alltägliche Objekte gar nicht gibt, wie sie z. B. von Sellars (1963) vertreten wurde, wäre jedoch auch falsch.) Auf ähnlichem Niveau sind viele Argumentationen von Vertretern genannter Bewegungen, welche zum Teil an die irrationalen und zum Teil absurden Theorie-Konstrukte Heideggers anknüpfen. Glock (2004) merkt an: „Obwohl […] die deutschen Idealisten Gegner der Aufklärung waren und sich oft auf Scheinargumente stützten, erhoben sie doch wenigstens noch Anspruch auf Vernünftigkeit. Dagegen stehen die Heideggerianer der rationalen Ausweisung philosophischer Behauptungen bestenfalls gleichgültig gegenüber.“
Insgesamt scheint die OOO keinen fundamentalen erkenntnistheoretischen Beitrag zu liefern.
Markus Gabriel; Neuer Realismus
Markus Gabriel vertritt mit seinem „Neuen Realismus“ einige falsche Ansichten, welche hier kurz beleuchtet werden sollen.
Dualismus
Er kritisiert, dass unter dem Realismus die Annahme einer bewusstseinsunabhängigen Außenwelt (Wirklichkeit) verstanden wird, und somit Bewusstsein und Denken als weniger wirklich (ontologisch unterlegen) angesehen werde. Die reale Existenz unseres Bewusstseins wird jedoch vom Standpunkt des Realismus nicht grundsätzlich bestritten und ist im Gegenteil die Grundlage für die Annahme, dass unsere Bewusstseinsinhalte eine reale, physikalische Wirklichkeit darstellen.
Sinnfeldontologie
Er schreibt (2013), dass es die Welt nicht gibt. Die Welt definiert sich jedoch als die Gesamtheit von allem oder als die Wirklichkeit. Die Begriffe dieser Definition sind so simpel, dass sie überhaupt nicht falsch sein kann. Nur weil es z.B. unendlich viele Zahlen gibt, heißt das nicht, dass man mit „alle Zahlen“ etwas unendlich Vielfältigem eine Bezeichnung geben kann. An anderer Stelle meint er, dass was er eigentlich verneint, ist ein metaphysisches Prinzip der Einheit der Realität. Damit versucht er nicht wirklich zielführend die Frage nach Seinsformen und Bewusstsein zu beantworten. M. Gabriel (2016) meint, dass alles nur in einem Kontext (Sinnfeld) existiert. Damit könne man z.B. sagen, dass fiktionale Figuren existieren, weil sie in einem Buch existieren. Dass alles nur in einem Kontext existiert, ist insofern trivial, als dass alles nur als Wirklichkeitsinhalt oder Bewusstseinsinhalt in der Wirklichkeit oder einem Bewusstsein existiert. Er meint, dass wir die Idee eines alles überspannenden Kontextes, wie der Welt, verwerfen sollten, weil so ein allgemeingültiges Prinzip bzw. Konzept im Detail nicht funktionieren kann. Wie gezeigt ergibt es jedoch Sinn in Wirklichkeit und Bewusstsein zu unterscheiden, wobei wir natürlich nicht genau wissen, was für Phänomene diese Welten enthalten. Wir wissen also nicht genau woraus die physikalische Wirklichkeit besteht. Gabriels Sinnfeldontologie erscheint realitätsfern, weil sie vernachlässigt, dass es viel mehr Sinn macht vom Dualismus aus Wirklichkeit und Bewusstsein auszugehen. Eine richtige Erkenntnis vom ihm ist jedoch z.B., dass ein Gegenstand nicht weniger wirklich ist, bzw. es nicht weniger wahr ist von der Existenz eines Gegenstandes zu sprechen, als von der Existenz seiner Moleküle (bzw. fundamentalen Bestandteile).
Metaphysik
Er meint es gibt Dinge die nicht zum „materiell-energetischem Universum“ (also der Wirklichkeit) gehören, wie z.B. die Gesetze der Physik. Abgesehen von Bewusstsein erscheint diese Annahme unsinnig. So existieren die Gesetze der Physik nicht als eigenständiges Ding einer Seinsform anderer Natur, sondern sind (je nach Definition) entweder die Informationen, die in Form von Sprache als Wirklichkeitsinhalt oder Bewusstseinsinhalt existieren, und die die Bewegungen von Wirklichkeitsinhalten beschreiben, oder es sind die Bewegungen selbst bzw. die Veranlagungen der Wirklichkeitsinhalte sich auf bestimmte Weise zu bewegen (wobei diese Veranlagungen selbst nur physikalische Zustände sind).
Konstruktivismus
Gabriel kritisiert am Konstruktivismus, dass wenn das Gehirn die Welt konstruiert, es sich auch selbst mit konstruieren müsse. Die Idee des Konstruktivismus ergibt also nur insofern Sinn, als dass man die Welt inklusive Gehirn als existent annimmt, und das Gehirn dann ein Abbild oder eine Repräsentation der Welt konstruiert. Ein Argument des Konstruktivismus ist, dass das Gehirn die rohen Sinnesdaten ver- und bearbeitet, bevor sie uns als Bewusstseinsinhalt erscheinen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass wir die Formen unserer Wahrnehmung als existent annehmen, weil dies wie im ersten Kapitel des Buches gezeigt ein logischer Schluss sind, oder weil sie uns aus zahlreichen Gründen als wahre Wahrnehmung erscheinen (sie verändern sich kontinuierlich und regelhaft nach den (angenommenen) Gesetzen der Physik und sie halten unterschiedlichen wissenschaftlichen (Wahrnehmungs-) Methoden stand).
Möglichkeit der Erfahrung
Gabriel betrachtet die Subjekt-Objekt-Spaltung der Erkenntnistheorie als falsch, weil unser Gehirn Teil der physikalischen Wirklichkeit ist und unsere Sinneswahrnehmung ein physikalischer Prozess ist. Gleichzeitig verneint er, dass wir immer nur lokale Ausschnitte der Wirklichkeit durch unser Gehirn verarbeiten und dass die Physik aus unserer kognitiven Nische auf das Universum schließt. Aber genau das scheint offensichtlich der Fall zu sein, denn unsere Sinnesorgane und unsere wissenschaftlichen Geräte können immer nur einen räumlich begrenzten Ausschnitt der Wirklichkeit erfassen. Dass die physikalischen Gesetze im ganzen Universum gelten, bleibt eine geschlussfolgerte Annahme. Stattdessen meint er, dass „unser kognitiver Apparat bis zur Grenze des Universums reicht“. Er meint die Physik ist im Stande die Grundstrukturen unseres Universums so zu erfassen, wie sie sind. Dies ist jedoch nur eine Annahme. Denn bevor wir annehmen, dass unsere physikalischen Gesetze wahr sind, nehmen wir an, dass es eine Wirklichkeit gibt, welche bestimmten Gesetzmäßigkeiten folgt. Eine physikalische Theorie kann sich auch als falsch herausstellen. Gleiches gilt z.B. für bloße visuelle Wahrnehmung. (Gabriel meint, dass wir die Dinge so erkennen können, wie sie sind.) Bevor wir annehmen, dass ein Gegenstand genauso aussieht wie wir ihn wahrnehmen, nehmen wir an, dass überhaupt ein Gegenstand existiert und ein bestimmtes Aussehen (eine Form) hat. Dabei sind wir uns dieser zugrundeliegenden Annahme sicherer als bei der Annahme über das konkrete Aussehen.
Wahre Wahrnehmung
Gabriel meint, dass unsere visuellen Eindrücke gleich sind mit dem Aussehen von Dingen. Jedoch trifft dies nur bezüglich der Form der Dinge zu, und nicht bezüglich ihrer Farben. Für Gabriel scheint die Form der Dinge abhängig davon zu sein, wie sie von Subjekten wahrgenommen werden. Die Frage, wie die Dinge wirklich aussehen, hält er für unsinnig. Die Theorie der Wirklichkeit besagt aber gerade, dass die Wirklichkeitsinhalte unabhängig von der Wahrnehmung durch Subjekte existieren. Diese Annahme ist grundlegender als die Annahme (innerhalb der Theorie der Wirklichkeit), dass dann ein Wirklichkeitsinhalt tatsächlich so aussieht, wie wir ihn wahrnehmen. Grundlage für all unsere Annahmen über die Wirklichkeit sind natürlich nur unsere Wahrnehmungen, denn ohne diese wäre unser Geist leer. Aber trotzdem können wir annehmen, dass ein Ding anders aussieht als wir es wahrnehmen. Er meint, dass „unser Denken und das Sein der Wirklichkeit sich fundamental in einer Kontinuität befinden“, und dass „wir nicht in Erkenntnisblasen sitzen aus denen wir nicht so richtig raus kommen“. Es ist richtig, dass wir unserer normalen, gesunden Sinneswahrnehmung vertrauen können, was mit ersterer Aussage gemeint ist. Aber die Bedeutung der zweiten Aussage, dass jeder nur seine Wahrnehmungen bzw. Bewusstseinsinhalte hat und von der restlichen Welt nichts mit Sicherheit weiß, ist fundamentaler, also von grundlegenderer Richtigkeit, denn die Wirklichkeit und die Übereinstimmung von Wahrnehmung und Wirklichkeit wird nur angenommen.
Er meint, dass „wir nicht hinter unseren Augenhöhlen sitzen und auf die Wirklichkeit schauen die ganz anders sein kann als sie uns erscheint“. Ersteres ist jedoch fester Bestandteil der Theorie der Wirklichkeit. Unser Denken findet im Gehirn statt. Und die Wirklichkeit kann insofern ganz anders sein als sie uns erscheint, als dass wir mit der Theorie der Wirklichkeit ebenfalls annehmen, dass wir bloß Wahrnehmungen der Wirklichkeit haben. Da die Gehirnzustände dieser Wahrnehmungen ein eigener Wirklichkeitsinhalt sind, ist nicht klar, dass er andere Wirklichkeitsinhalte korrekt abbildet, was auch immer das heißen mag. Wir nehmen jedoch wie gesagt an, dass die Formen (bzw. Kontraste) die wir sehen tatsächlich der Wirklichkeit entsprechen. Insofern nehmen wir also wirklich an, dass die Wirklichkeit nicht anders sein kann als sie uns erscheint.
Begriff der Wahrheit
Für Gabriel ist Wahrheit unabhängig vom menschlichen Verstand. Was er damit wahrscheinlich eigentlich meint ist, dass Wirklichkeitsinhalte unabhängig von menschlichem Verstand existieren. Wahrheit wäre für ihn also die bloße Existenz von etwas. Solch ein Wahrheitsbegriff ist jedoch überflüssig und nicht der tatsächlichen Verwendung des Begriffs entsprechend. Sinnvoller ist der Begriff der Wahrheit als eine Beziehung zwischen Verstand und Welt. Er meint das Wahrheit das Zutreffen von Eigenschaften auf einen Gegenstand ist. Vereinfacht man die redundante Dopplung in dieser Definition wäre Wahrheit das Zutreffen von Existenz (z.B. statt der Ball ist blau nur noch da ist ein Ball). Gabriel vergisst also die Beziehung zwischen der Welt und dem abbildenden Verstand und bleibt bei der trivialen Erkenntnis, dass Wahrheit das ist, was der Fall ist.
Er meint, dass wir Erkenntnisse nicht konstruieren wie nach dem Konstruktivismus, sondern entdecken, weil die Welt schon vorher so war. Wir konstruieren jedoch insofern, als dass wir die Wirklichkeit nur annehmen. Betrachten wir die Wirklichkeit allerdings als existent, so wie wir es normalerweise tun, sind all unsere Erkenntnisse über sie natürlich nur Entdeckungen. Gabriel verwendet auch den Begriff des Wissensanspruch, der nichts anderes bedeutet, als dass man annimmt, dass etwas Wissen bzw. wahr ist.
Denken als Sinn
Gabriel (2018) meint, dass Denken ein Sinn ist. Denken ist jedoch immer nur das Reflektieren von Sinneswahrnehmung. Ohne Sinneswahrnehmung gibt es keine Gedanken, umgekehrt jedoch schon. Und Denken soll auch nicht wie Sinneswahrnehmung nur abbilden oder repräsentieren, sondern ständig verarbeiten, also neu kombinieren. Er meint, dass unsere Wahrnehmung keine Brücke schlagen muss zwischen Wahrzunehmenden und Wahrnehmungsprodukt, sondern dass sich die Wahrnehmung schon am selben Ort wie ihr Gegenstand befindet. Dies ignoriert jedoch völlig die physikalische Realität, in der Gegenstand und Gehirnzustand voneinander getrennt sind und nur durch einen Wahrnehmungsprozess einander beeinflussen.
Literatur und Quellen
Gabriel, Markus
(2013) Warum es die Welt nicht gibt
(2016) Sinn und Existenz
(2018) Der Sinn des Denkens
(2019) Die ewige Wahrheit und der Neue Realismus
Glock, Hans-Johann (2004) Essay, Ausgabe 933. Kants «Kritik der reinen Vernunft» https://schweizermonat.ch/kants-kritik-der-reinen-vernunft/
Harman, Graham (2002) Tool-Being: Heidegger and the Metaphysics of Objects
Meillassoux, Quentin (2008) Nach der Endlichkeit
Sellars, Wilfrid (1963) Science, Perception and Reality